anti-politik?

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Was ist Anti-Politik?

Im folgenden eine thesenhafte fragmentarische Darstellung des „Konzepts
Anti-Politik“, wie ich es dem „Politik-Machen“ entgegenstelle.

Gegen die Politik ist nicht das „unpolitisch sein“ zu vertreten,
sondern das gezielte theoretische und praktische Agieren gegen die Politik,
also Anti-Politik: diese bleibt auf Politik bezogen, kann sich mit den Gegenständen
der Politik beschäftigen, muß aber selbst was völlig anderes
als Politik sein.

Anti-Politik betrachtet sich als Teil des von ihr selbst kritisierten Gegenstandes.
Sie vertritt also keine „Drübersteher-Position“. Sie ist sich
darüber bewußt, daß sie sich sowohl theoretisch als auch praktisch
mühselig aus den bestehenden Denk- und Verhaltensweisen herauswühlen
muß.

Gegen die Politik ist nicht die „reine Kritik“, nicht das sich-beschränken
auf Bücher lesen, Texte schreiben und Referate halten zu richten. Das Gegenteil
von Politik ist weder „Theorie“ noch geht es darum, keine Demos
mehr durchzuführen. Statt dessen muß eine gesellschaftskritische
Theorie und Praxis entstehen: diese kann Demonstrationen wie das Abfassen von
Texten beinhalten. Ihren Charakter findet sie nicht ausschließlich in
der Wahl ihrer Mittel, sondern in ihren Ansprüchen und Inhalten. Wobei
freilich geänderte Inhalte andere Formen ihrer Äußerung bedingen.

Anti-Politik ist kein Dogma im Sinne von „Du darfst“ oder eben
nicht: selbst im Kontext einer Anti-Politik kann es bisweilen sinnvoll sein,
Politik zu praktizieren. Kriterium für Anti-Politik ist nicht, daß
man auf keinen Fall was Politisches durchführen darf. Sondern: es ist unkritisch,
sich selbst als politisch zu verstehen und sein Handeln auf die Politik zu beschränken/zu
konzentrieren oder alles was man macht „Politik“ zu nennen. Aber
es ist nicht prinzipiell falsch, mal was Politisches zu beginnen.

Anti-Politik ist kein einheitliches Gegenprinzip, sondern eine Hilfsvokabel.
Klar ist nur ihr Ziel, daß sie doch nur negativ anzugeben weiß:
eine befreite Gesellschaft, nämlich befreit von Markt und Staat. Klar ist
der Anti-Politik aber auch, daß diese durchgesetzt werden muß. Die
befreite Gesellschaft entsteht nicht durch Texte, Referate, Gebete oder Hoffnungen.
Die Anti-Politik geht davon aus, daß sie selbst es ist, die diese befreite
Gesellschaft Wirklichkeit werden läßt. Als von Anbeginn negative
bzw. negatorische fühlt sich die Anti-Politik am wohlsten in der radikalen
Kritik der bestehenden Ordnung.

Anti-Politik ist prinzipiell pessimistisch. Sie wendet sich scharf gegen „Hoffnung“
(„Es wird schon alles werden. Irgendwie“) und „Utopie“
(„Eine andere Welt ist möglich.“). Dennoch erkennt sie, daß
es leichter ist, ein brennendes Schiff zu verlassen, wenn man sich vorher ein
neues seetüchtiges geschaffen hat(2). Die Anti-Politik wartet nicht auf
die Krise, sondern betrachtet die Krise als Realität und nutzt sie als
Chance. Daher ist sie keine Zukunftsmusik: Sie beginnt oder muß beginnen,
so banal das klingt, hier und jetzt.

Dreh- und Angelpunkt der Anti-Politik ist es, die Menschen gegen sich selbst
zu mobilisieren. Oder besser: sie gegen ihre Form des bürgerlichen Subjekts
aufzuwiegeln, in die sie historisch und individuell gepreßt wurden. Sie
will Menschen dazu bringen, daß es sie ankotzt und anwidert Staatsbürger,
Deutsche, Männer, Frauen, Homos oder Heteros, Käufer oder Verkäufer,
Arbeitende oder Unternehmer zu sein.

Mit ihrer Kritik an der bürgerlich-patriarchalen Sphärentrennung
ist die Anti-Politik feministisch. Sie weiß darum, daß sich patriarchale
Verhältnisse in der uns gängigen Vorstellung von „Geschlechtern“
ausdrücken: Anti-Politik ist daher so konsequent zu sagen, daß es
mit den Geschlechtern ein Ende haben wird und haben muß, auch wenn sie
sie nicht als diskursiv produziert und konstruiert betrachtet, sondern als historisch-materielle
Wirklichkeit angreift. Damit wendet sich die Anti-Politik aber auch gegen jene
Spielarten von Feminismus, die als Differenzfeminismus die „Besonderheit
des Weiblichen“ einklagen oder als Gleichheitsfeminismus für die
Gleichheit der Geschlechter auf nicht grundlegend in Frage gestelltem warenproduzierendem
und patriarchalem Boden streiten.

Anti-Politik braucht eine kritische Gesellschaftswissenschaft und marxistische
Krisentheorie zum Leben wie der Fisch das Wasser. Gegen alle Überhöhungen
von „Erkenntnis-“ und „Ideologiekritik“ geht sie davon
aus, daß die kapitalistische Gesellschaft objektiv wirkenden Gesetzen
unterliegt, die wissenschaftlich erkannt werden können. Damit wendet sie
sich gegen jeden erkenntnisleugnenden Agnostizismus (das Bestreiten der Möglichkeit
von Erkenntnis). Anti-Politik geht von einem prinzipiell offenen Geschichtsverlauf
aus. Es gibt für sie keinen zwingenden historischem Grund, aus dem heraus
sich der Kapitalismus durchsetzen mußte oder aus dem heraus es überhaupt
zu Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnissen kommen mußte. Den
Kapitalismus selbst betrachtet sie jedoch streng determiniert von ökonomischen
Gesetzmäßigkeiten. Seine Tendenz zur finalen Krise ergibt sich aus
der Bewegung hin zur Selbstabschaffung der Arbeit, die seine Substanz darstellt.
Während sein Ende, wenngleich nicht zeitlich, so doch prinzipiell, ausgemachte
Sache ist, so ist doch alles was danach kommt und kommen kann wiederum offen.
Dies wird handelnden und denkenden Menschen aufgegeben sein.

Anti-Politik wendet sich scharf gegen den akademischen Mainstream an den Universitäten
und begreift kritische Theorie als notwendig autonome Initiative.

Die Anti-Politik gehört nicht zu den Freundinnen des Abendlandes. Sie
will den westlichen Werten und Glücksversprechen den Garaus machen. Sie
hat nachgerade genug gehört von Leuten, die den Menschen als geregeltes
Uhrwerk betrachten (LaMettrie: Der Mensch als Maschine) und damit seine wertförmige
Zurichtung affirmieren. Sie geht davon aus, daß Menschen unter der Kantischen
Pflichtethik, die von jeglichen Gefühlen absehen will und zur Selbstunterwerfung
ohnegleichen aufruft (Kant: Metaphysik der Sitten) weit mehr als genug zugerichtet
wurden. Sie hält auch nichts davon, „sich seines Verstandes ohne
Anleitung eines anderes zu bedienen“ (S. 9), solange damit gemeint ist,
„räsoniert soviel ihr wollt und worüber ihr wollt; aber gehorcht“
(Was ist Aufklärung 1974, S. 11). Anti-Politik steht negatorisch allen
„Werten“, „Kulturen“, „Zivilisationen“,
„Religionen“ und jeder „Vernunft“ entgegen, die die
Menschen in der sozialen Unfreiheit, im Banne von Markt und Staat halten. Sie
kritisiert alle Positionen und Haltungen rücksichtslos, die die Möglichkeit
einer Gesellschaft ohne ausbeutende und unterdrückende Strukturen leugnen
und steht ihnen konträr entgegen. Gerade die westliche Moderne brachte
Menschen sukzessive in die Abhängigkeit von abstrakten irrationalen Zwängen
(Arbeiten müssen, einem Staat untertan sein, eine Geschlechterrolle ausfüllen…).
Anti-Politik ist daher anti-modern im besten, also im emanzipatorischen Sinne.
Damit steht die Anti-Politik in scharfer Abgrenzung zu reaktionären KritikerInnen

der Moderne. Diese betrachtet sie eher als mit der Moderne verwandt in den entscheidenden
Punkten: beide leugnen die Möglichkeit einer emanzipierten Menschheit.

Die Anti-Politik verachtet die Arbeit und liebt die Muse. Sie hält auch
viel vom Nichts-Tun, obwohl sie darum weiß, daß Muse viel mehr als
Nichts-Tun und Arbeit ist. Die Anti-Politik will nicht die bürgerliche
Tauschgerechtigkeit verwirklichen. Sie will eine Nutzung der verfügbaren
Ressourcen für alle Menschen zu ihren Bedürfnissen und in den Grenzen
des Möglichen. Anti-Politik anerkennt, daß auf einer endlichen Erde
kein grenzenloses Wachstum weder realisierbar noch wünschenswert ist. Dem
ehrgeizig himmelstürmenden Patriarchat hält sie entgegen, daß
„hemmungslose Leute keineswegs die angenehmsten und nicht einmal die freiesten“
sind, und daß die „wahre Gesellschaft der Entfaltung überdrüssig
(…) aus Freiheit Möglichkeiten ungenützt“ läßt,
„anstatt unter irrem Zwang auf fremde Sterne einzustürmen“
(Adorno, Minima Moralia, S. 296f).

Anti-Politik wendet sich entschieden gegen jeden Leistungszwang und jedwede
Konkurrenzmanier. Sie erblickt überall, wo Menschen mit der Wertlogik des
Gewinnens bewußt brechen wollen (auch wenn sie dabei „inkonsequent“
bleiben), einen Ansatz der Emanzipation.

Die Anti-Politik ist weder revolutionär noch reformerisch. Sie demaskiert
„Reform“ und „Revolution“ als Spielarten der Politik.
Sie tritt für ein schrittweises Ausbrechen aus Marktwirtschaft und Staatsgesellschaft
ein. Sie vertritt das Konzept einer Transformation des warenproduzierenden Patriarchats.
Damit knüpft sie kritisch an die Ideen der Ökologie- und Alternativbewegung
der 70/80er Jahre an. Sie verteidigt sie, weil sie einen Ausbruch aus der Marktlogik
versucht haben. Sie kritisiert sie, weil sie dabei dumpf, reaktionär und
kleinkariert wurde oder als „Alternativökonomie“ in marktorientiertem
quasi-selbstbestimmtem Klitschenwesen versackte. Anti-Politik wendet sich gegen
Fortschrittsfeindlichkeit ebenso wie gegen technizistische Allmachts- und Wahnphantasien.
Sie wendet sich entschieden dagegen, vor dem Hintergrund des „Veränderns
des kleinen eigenen Lebens“ das „große Ganze“ zu vernachlässigen.
Aber sie lehnt auch das Gegenteil davon ab: nur über die Gesellschaft und
deren Zwänge zu reden ohne sich selbst ändern zu wollen. Theoretisierend-praktizierende
der Anti-Politik wollen sich selbst verändern, um die Gesellschaft zu verändern
und die Gesellschaft verändern, um sich selbst zu verändern. Das Ausspielen
des „Großen Ganzen“ gegen die „Kleinen Schritte“
vice versa betrachtet die Anti-Politik als im Bestehenden abgrundtief verhaftet.

Dabei wendet sich die Anti-Politik auch gegen den Gestaltungswahn der RevolutionärInnen
und ReformerInnen. Diese müssen, um ihre Revolution oder Reform zu praktizieren,
stets ein Konzept einer besseren Welt im Kopf haben, welches sie verwirklichen
wollen. Anti-Politik verzichtet wohlweislich auf solche Konzepte. Sie will niemanden
und keine unter irgend etwas ordnen. Sie will im Moment des Auflösens staatlicher
und marktwirtschaftlicher Ordnung (was für sie bereits auf dem Boden des
bestehenden Systems sich ereignet), dafür eintreten, daß eine auf
Bedürfnisbefriedigung und Mitgefühl gegründete Gesellschaft entsteht.

Die Anti-Politik erstrebt weder die Gleichheit noch die Unterschiedlichkeit/Verschiedenheit
der Menschen. Sie singt also weder das Lied der Gleichheit noch das der Differenz.
Sie ist explizit wertkritisch. Der Wert aber als gesellschaftlich vermittelndes
Maß der Zeit verausgabter Quanta Arbeitskraft, die notwendig war, um ein
bestimmtes Produkt zu erstellen (auch und gerade der Ware Arbeitskraft) ist
somit selbst Ziel der anti-politischen Attacke. Damit aber verfällt jeder
Maßstab nach dem Menschen als gleich oder verschieden beurteilt werden
könnten der Kritik. Anti-Politik verhält sich also polemisierend und
denunzierend gegenüber Positionen, die die Gleichheit oder Verschiedenheit
aller Menschen postulieren.