Der einzig wahre Hammer…

“Zuletzt liegt ein Angriff […] im Sinn und Wege meiner Aufgabe […], ein Angriff auf die in geistigen Dingen immer träger und instinktärmer, immer ehrlicher werdende deutsche Nation, die mit einem beneidenswerten Appetit fortfährt, sich von Gegensätzen zu nähren und “den Glauben” so gut wie die Wissenschaftlichkeit, die “christliche Liebe” so gut wie den Antisemitismus, den Willen zu Macht (zum “Reich”) so gut wie das évangile des humbles ohne Verdauungsbeschwerden hinunterschluckt… Dieser Mangel an Partei zwischen Gegensätzen! Diese stomachische Neutralität und “Selbstlosigkeit”! Dieser gerechte Sinn des deutschen Gaumens, der allem gleiche Rechte gibt – der alles schmackhaft findet… Ohne allen Zweifel, die Deutschen sind Idealisten.”

“Aber hier soll mich nichts hindern, grob zu werden, und den Deutschen ein paar harte Wahrheiten zu sagen: wer tut es sonst? – Ich rede von ihrer Unzucht in historicis. Nicht nur, daß den deutschen Historikern der große Blick für den Gang, für die werte der Kultur gänzlich abhanden gekommen ist, daß sie allesamt Hanswürste der Politik (oder der Kirche) sind: dieser große Blick ist selbst von ihnen in Acht getan. Man muß vorerst “deutsch” sein, “Rasse” sein, dann kann man über alle Werte und Unwerte in historicis entscheiden – man setzt sie fest… “Deutsch” ist ein Argument, “Deutschland, Deutschland über alles” ein Prinzip; die Germanen sind die “sittliche Weltordnung” in der Geschichte; im Verhältnis zum imperium romanum die Träger der Freiheit, im Verhältnis zum achtzehnten Jahrhundert die Wiederhersteller der Moral, des “kategorischen Imperativs”… Es gibt eine reichsdeutsche Geschichtsschreibung, es gibt, fürchte ich, selbst eine antisemitische, – es gibt eine Hof-Geschichtsschreibung und Herr von Treitschke schämt sich nicht… […] Alle großen Kultur-Verbrechen von vier Jahrhunderten haben sie [die Deutschen] auf dem Gewissen!”

Der “deutsche Geist” ist meine schlechte Luft: ich atme schwer in dieser Instinkt gewordnen Unsauberkeit in psychologicis, die jedes Wort, jede Mine eines Deutsche verrät. […] Das was in Deutschland “tief” heißt, ist genau diese Instinkt-Unsauberkeit gegen sich, von der ich eben rede: man will über sich nicht im klaren sein. Dürfte ich das Wort “deutsch” nicht als internationale Münze für diese psychologische Verkommenheit in Vorschlag  bringen? […] Ich habe Gelehrte kennen gelernt, die Kand für tief hielten; am preußischen Hofe, fürchte ich, hält man Herrn von Treitschke für tief.”

(Friedrich Nietzsche, “Ecce Homo”. Werke, hg.1999 Hanser-Verlag, S. )

Nicht nur weil die halbe “Dialektik der Aufklärung” aus diesem Rhizom geschnitzt ist, auch wegen solcher fantastischer und durchs ganze Werk gestreuten Boshaftigkeiten gegen den deutschen Geist und seiner Kritik am Antisemitismus ist Nietzsche heute so aktuell wie zu seiner Zeit. Sieht man von der verzweifelten Unruhe gegenüber dem weiblichen Geschlecht ab, die in ihrer Misogynie noch einen Wunsch nach befreiter weiblicher Individualität barg und in seiner Bösartigkeit noch eine Kritik am durch Unterdrückung gebildeten Charakter, ist Nietzsche der einzig wirkliche Aufklärer, der sich auch nicht schämt, einem Kapitel den Titel zu geben: “Warum ich so klug bin”.