Anna Babka/Susanne Hochreiter (Hg.): Queer Reading in den Philologien. Modelle und Anwendungen. Göttingen 2008.
von Katrin Köppert
Gegen die Deutungshoheit anzuschreiben, war scheinbar eine Motivation der Herausgeberinnen von „Queer Reading in den Philosophien“, die unter gleichen Namen die Konferenz vom 2. – 5. November an der Universität Wien organisiert und umgesetzt hatten. Nicht „dem Autor“ die Hoheit überlassen, zu wissen, was er_sie geschrieben hat; nicht dem Feuilleton die Hoheit überlassen, zu wissen, was gelesen werden will und nicht der Wissenschaft überlassen, zu wissen, was der Text bedeutet, ist Tenor und Herausforderung einer Kritik an der normativen Herstellung von Wert und Kanon. In den Prozessen der „Wertschöpfung“ spielen Geschlecht und Sexualität eine zentrale Rolle, solange nur Textprodukte protegiert werden, die zweigeschlechtlichen und heteronormativen Mustern folgen und unter eben jenen Bedingungen entstehen können. Texte, die darüber hinaus ragen oder sich zwischen die engen Maschen des Diskurses hindurch zwängen, wurden und werden diskursiv zum Schweigen gebracht.
Dieses Schweigen sollte mittels queerender Lektüren literarischer Texte im Rahmen der Konferenz gebrochen werden. Queer Reading rekurriert auf ein Lektüreverfahren, dass
„Texte auf ihre heteronormative Zeichenökonomie hin untersucht, queer Subtexte sichtbar macht und Lesarten ermöglicht, die die Konstruktion von binären Sexualitäts- und Geschlechtskonzepten decouvrieren.“
Die Anwendungen dieses Verfahrens auf literarische, filmische und kulturelle Texte werden in dem Band dokumentiert sowie die Konfrontation von Wissenschaft und Kunst wiedergegeben. Dabei verharrt die Strukturierung des Buches in ebenjener Konfrontation und Grenzziehung zwischen Theorie und Praxis, insofern theoretische Explikationen von den Anwendungen und (Workshop)Berichten getrennt werden. Lediglich die künstlerischen Beiträge werden gemäß der These, es handele sich um ein intrinsisches Verhältnis zwischen queerer (Performance)Kunst und queerer Theorie, nahezu sklavisch zwischen die einzelnen wissenschaftlichen Beiträge eingeschoben. Queere Flexibilität bzw. Fluidität kommt dabei kaum auf.
Spannend wiederum die Idee der Kommentierung im Anschluss an die Beiträge. Im Zusammenfassen des soeben gelesenen entsteht der Raum für kritische Nachfragen und das Bezweifeln dargebotener Thesen, was ich als eine dialogische Form des Queerens insofern verstehen möchte, dass produziertes Wissen verunsichert wird und sich somit als ein angreifbares Wissen darstellt, das keinen Anspruch auf Wahrheit oder Richtigkeit hat. Somit bilden die Beiträge und Respondenzen Angebote der Interpretation und Auseinandersetzung, die auch nachdem der Band zugeschlagen wird, weitergedacht und in Fluss gebracht werden können. Die Lesarten zu Hans Christian Andersens „Die kleine Meerjungfrau“, Hanif Kureishis „The Buddha of Suburbia“ oder zum Nibelungenlied sind daher erste Diskursöffnungen, die über den jeweiligen Text hinaus darauf verweisen, dass kanonisierte Texte que(e)r lesbar sein können. Que(e)re Rezeptionen und Readings lassen längst bekannte und vielleicht auch wieder vergessene Texte neu entstehen und von sich Reden machen.