Wessen Relevanzkriterien?

In der deutschsprachigen Netzszene wird seit ein paar Wochen eine große Wikipediadebatte geführt, in der es um das Löschverhalten von Admins und die Frage, wie speziell in der deutschsprachigen Wikipedia mit Relevanzkriterien umgegangen wird, geht. Die Dabatte könnt ihr in zahlreichen Blogs nachvollziehen, als Background hier mal ein etwas älterer, kurzer Text bei Spiegel Online mit vielen Links und einem Katzenbild: Wikipedia-Autoren ziehen in den Löschkrieg – gegen Katzen.

Was soll in einer kollaborativen Onlineenzyklopädie alles stehen, und was ist irrelenvat? Felix Neumann sieht das Problem in der

mangelnde(n) methodische(n) Reflexion. Die Kriterien Relevanz und Neutralität sind selbst nicht wertfrei. (…) Die ganze Problematik offenbart sich in einem Paradox: Die Wikipedia als Web-2.0-Projekt ist ein postmodernes Medium. Relevanz ist ein modernes Paradigma.

In diesem Zusammenhang finde ich den Hinweis von Wikipedianerin wisewoman, die Johnny Häusler auf Spreeblick zitiert, bedenkenswert:

80% der Wikipedianer in den USA seien männlich, mehr als 65% alleinstehend, mehr als 85% kinderlos und rund 70% jünger als 30 Jahre (Quelle). Zahlen, welche so oder sehr ähnlich die gestern anwesende Wikipedianerin wisewoman auch für Deutschland bestätigte, wobei sie von nur 13% Frauenanteil sprach und außerdem darauf hinwies, dass Wikipedianer in Deutschland so gut wie ausschließlich weiß wären – Deutschsprachler nichtdeutscher Herkunft scheinen in der Wikipedia Seltenheitswert zu haben.

Ohne jetzt mit einem vereinfachten Diversity-Argument daher zu kommen (je unterschiedlicher die Beteiligten desto besser das Produkt), denke ich schon, dass eine selbstkritische Einschätzung nach den Grenzen des eigenen Blickes auf die relevanten Dinge in der Welt notwendig ist. Mich hat die Debatte an den Artikel Gender Trouble im Web 2.0 – Sexismus, Homophobie, Antifeminismus und Heteronormativität im neuen alten Internet von Tanja Carstensen erinnert:

Queer-feministische Inhalte zu löschen, stand auch in der “freien Enzyklopädie Wikipedia” zur Debatte. Im August 2007 wurden dort die Einträge zu “Ladyfest” und “Riot grrrl”zur Löschung vorgeschlagen. Neben Kritik an Relevanz und Qualität der Einträge – der Ladyfest-Artikel wurde als “freie Assoziation zum Thema” charakterisiert, er sei nicht objektiv – schien den Lösch-Befürworter(_inne?)n aber auch das Verständnis von Geschlecht als “hegemoniale heterosexuell verfasste Zweigeschlechtlichkeit” kritikwürdig: “Ich dachte immer das hätte was mit Genetik zu tun.” Auch die im Beitrag enthaltene Aussage, Frauen und Mädchen seien innerhalb der Musik- und Kunstszene unterrepräsentiert, wurde angezweifelt und als Argument für die Löschung herangezogen (vgl. Wikipedia). Fünf Minuten später schlug einer der an der Diskussion beteiligten Personen dann auch noch die Löschung des Eintrags zu “Riot grrrl” vor:

“Ich will mal ganz ketzerisch die Frage nach der Relevant stellen und frage mich auch was das nun genau sein soll. Entstanden in einem eher unedeutenden Kaff, reagiert wie auch immer auf eine empfundene männliche Dominanz in der Musikszene (ist dem so? Wenn ich Radio höre habe ich den Eindruck öfter Frauen, denn Männer singen zu hören), und dann ein paar nicht wirklich bekannte Musikkapellen als Beispiele. Als Literatur werden vor allem Artikel in Zeitschriften mit doch sehr sehr begrenzter Leserschaft angegeben, die Weblinks sind irgendwelche Foren. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß hier krampfhaft etwas groß geschrieben werden soll, von dem kaum jemand je Notiz genommen hat.” (vgl. Wikipedia)

Es muss also auch gefragt werden, um wessen Relevanzkritieren es geht, und unter welchen Bedingungen sie ausgehandelt werden können. Dass Beteiligung und Engagement nicht vergebens sind, zeigen der Ladyfest und der Riot Grrrl Einträge, die es bis heute gibt.