Judith Butler und die radikale Demokratisierung (des CSDs)

Nachdem sich die Jünger_innenschaft Judith Butlers in der Volksbühne eingefunden hatte, um ihrem Vortrag „Queere Bündnisse und Antikriegspolitik“ andächtig zu lauschen, folgte eine auf deutsch gehaltene Darlegung ihres Verständnisses von queer in der Verweigerung Identitätslabel zu sein sowie von queeren Bündnissen, die in Folge dessen gleichsam nicht vereinnahmbar sind von bestimmten Betroffenengruppen. Der Punkt ist demnach nicht, queer zu sein, um daraus einen Anspruch an Widerspruch zu erheben, sondern ganz grundlegend gegen Homo-und Transphobie als Formen der Verletzung von Menschenrechten zu sein. Demzufolge ist auch der Kampf einer entrechteten Minderheit mit dem Kampf anderer entrechteter Minderheiten verknüpft. Das Beispiel einer Konferenz gegen Homo- und Transphobie in Ankara benennt sie daher nicht, um das Klischee einer rückständigen Türkei in Sachen Homo- und Transphobie zu reaktivieren, sondern den Vorbildcharakter eines heterogenen Bündnisses gegen jene Menschenrechtsverletzung und Polizeigewalt. Der Kampf gegen Militarismus, Nationalismus und Männlichkeit einte dort die Transgender-Person mit der Feminist_in, Menschenrechtsaktivist_in – ob säkular oder muslimisch – auf der Straße. Demonstrationen wie diese seien daher Praktiken der radikalen Demokratisierung. Im Kampf darum, Rechte einklagbar zu machen, könne das Gesetz als politisches Instrument nutzbar gemacht werden, so dass sich kein naturalistisches Verständnis von Recht voraussetzen ließe, sondern eine Performativität von Recht ermöglicht würde. In der Wiederholung von Rechtsakten ließen sich schließlich Verschiebungen einbasteln, so dass z.B. die gewalttätigen Praktiken der Polizei gegenüber Transgender-Personen als kriminell verurteilbar anerkannt würden. Dies würde jedoch voraussetzen, dass Gewaltakte wie die Pathologisierung von Menschen, die zur Unterscheidung von schützenswertem und nicht-schützenswertem Leben führen, abgeschafft und nicht durch Politik, Wissenschaft und Rechtssprechung z.B. des rechtskräftigen TSG-Gesetzes fortgesetzt würde.

Diesen zugegebenermaßen nicht ganz neuen Thesen Butlers folgend, ist die Entscheidung Butlers, den Zivilcourage-Preis des CSDs am folgenden Tag nicht anzunehmen, mehr als konsequent – wenn auch durch die Entscheidung, einen Vortrag im Rahmen der von der Initiative Queer Nations e.V. initiierten Queer Lectures zu halten, relatviert. Schließlich handelt es sich um einen Verein, der nicht nur auf durchaus dominante Queer Nations Konzepte Bezug nimmt, sondern auch auf Magnus Hirschfeld, der die Pathologisierung eines Dritten Geschlechts diskursiv vorzubereiten half.

Umso erfreulicher der Verweis Butlers bei ihrer Begründunng der Preisverweigerng auf eine „Berliner Subkultur, die sich noch mit den großen Fragen von Krieg und Frieden und sexueller Identität in einer modernen Gesellschaft auseinandersetzt“ und alljährlich einen politischen Kontrapunkt zum zunehmend maskulinistischen und kommerzialisierten CSD setzt. Zum Thema der radikalen Demokratisierung passend, lautet das Motto des Transgenialen CSDs dieses Jahr „Gewaltige Zeiten – gewaltiger queerer Widerstand!“, wobei sich auch hier ein kritischer Blick auf die Definition eines gewaltigen Widerstandes lohnt. Solange mit gewaltig gemeint ist, sich mit vereinten Kräften und nicht vereinten Fäusten zu wehren, soll und muss es sich lohnen, Spaßbremse zu sein (so titelte die taz in Bezug auf die Kritik Butlers am C(omercial)CSD).