„Obama ist Israels letzte Chance auf Frieden„. Das titelt „Die Zeit“ mit Volker Perthes am 8.8.2010 in der Onlineausgabe. Die arabischen Staaten oder die Palästinenser können anscheinend mit einem Kriegszustand recht gut leben, für sie werden keine Chancen auf Frieden vergeben. Soviel Platitüde kann man also in einem Titel unterbringen. Was erfährt man nun aus der Zeit über den für alle Welt so wichtigen Friedensprozess zwischen Israel und den palästinensischen Autonomiebehörden?
„Tatsächlich verfolgt die Netanjahu-Regierung eine kurzsichtige Politik, wenn sie das kurzfristige Interesse, an Territorium und Siedlungen festzuhalten, über das langfristige Interesse Israels an einem fairen, auch für die andere Seite akzeptablen Frieden mit den Palästinensern stellt. Darüber schwindet die Chance für einen solchen Frieden. Vieles spricht dafür, dass eine Zweistaatenlösung entweder unter der Ägide von US-Präsident Obama zustande kommt – oder gar nicht. Das hat mit drei Entwicklungen zu tun: mit den Fakten, die auf dem Gebiet der Infrastruktur geschaffen werden, mit demografischen Veränderungen und mit politisch-gesellschaftlichen Entwicklungen bei den Palästinensern.“
Da ist sie wieder einmal, die Forderung, „Territorium und Siedlungen“ aufzugeben. Israel hat bereits Land im Ausmaß der heutigen Staatsfläche abgegeben: der gigantische Sinai wurde mit Ägypten gegen einen Friedensvertrag eingetauscht, der bis heute anhält. Warum machen die arabischen Staaten also zum Beispiel die Rückgabe des Golans an Syrien zur Bedingung für einen Frieden? Ist diesen gigantischen Flächenstaaten dieser Flecken Land mehr wert als ein langersehnter Frieden mit dem so furchtbaren Feind Israel? Dann kann es nicht so weit her sein mit dem Friedenswillen der arabischen Seite. Die arabischen Staaten pochen auf die Grenze vor dem Sechstagekrieg 1967, weil sie diesen Präventivschlag Israels bis heute nicht verdaut haben. Als israelische Militärflugzeuge 1967 im Tiefflug unter dem Radarschirm durch den Sinai flogen und die ägyptische Luftwaffe am Boden zerstörten und – unter der beinahe wahrgewordenen Drohung eines sowjetischen Eingreifens für die arabischen Staaten – die mächtige ägyptische Panzerarmee binnen Tagesfristen besiegten, war dies eine tiefe Kränkung der autoritären Herrscher in den arabischen Staaten. Wenn sie die Grenzen von vor 1967 fordern, wissen sie, dass dies in Bezug auf den Golan anmaßend, unnötig und unerfüllbar ist. Sie fordern keinen Frieden, sondern Land. Sie hoffen darauf, dass ihre von maßlosen Forderungen vergifteten „Friedensangebote“ Israel diplomatisch zermürben, sonst nichts. Paradoxerweise war vor 1967 das Westjordanland ein Teil Jordaniens und der Gaza-Streifen ein Teil Ägyptens. Wenn nun der israelische Außenminister Liebermann laut über eine Übergabe des Gaza-Streifens an Ägypten nachdenkt und an dieser Stelle hinter 1967 zurückwill, wird er selbst vom Koalitionspartner für verrückt oder rechtsextrem erklärt.
Die Zeit rät mit Perthes zu diesem Problem: „Denn wenn Israel sich von den palästinensischen Gebieten nicht trennen will oder kann, wird es mit dessen Einwohnern leben müssen.“ Das Gegenteil ist wahr. Abbas hätte nach dem Friedensangebot von Olmert nur ca. 5 % des Westjordanlandes abtreten müssen. Die Jerusalem-Frage wäre ausgeklammert und vertagt worden – für Verhandlungen zwischen gleichberechtigten Staaten. Eine realistische palästinensische Position muss sich entweder daran gewöhnen, dass im Westjordanland wieder eine jüdische Minderheit lebt und entsprechend Landrechte in einem demokratischen Staat bekommen muss, oder daran, dass dieses Land, das von dieser Minderheit bewohnt wird, teilweise abgegeben oder getauscht wird, um Sicherheitsinteressen zu wahren.
Der einzige dritte Weg wäre, Israel zum Bürgerkrieg gegen mehr als 200 000 jüdische SiedlerInnen im Westjordanland zu nötigen und Milliardeninvestitionen in Infrastruktur und Sicherung der jüdischen Städte und Dörfer zu vernichten. Und lediglich dieser dritte Weg scheint in der palästinensischen und deutschen Presse verhandelt zu werden. Es ist wahr, dass Israel diese Situation teilweise mitverschuldet hat, weil man sich vorschnell von den jüdischen Siedlungen die Kontrolle und Sicherung der palästinensischen Gebiete erhoffte, von denen aus seit den 1990-ern ein beispielloser Terror mit Selbstmordattentaten ausgeübt wurde. Heute ist das stärkste Argument, dass in Gaza der Abzug der Siedler nur mit mehr Terror beantwortet wurde und niemand garantieren kann, dass ein Abzug aus der Westbank nicht terroristischen Bewegungen einen Aufschwung ermöglicht wie ihn die Hamas in Gaza erfahren hat. Wie auch immer diese Diskurse in Israel künftig gewichtet werden: Israel hat im Gegensatz zu den arabischen Staaten bewiesen, dass es zu hohen ökonomischen Opfern und zu Revisionen seiner Politik bereit ist, etwa in der Rücknahme der Siedlungen auf der Sinai-Halbinsel oder im Gaza-Streifen. Im Grunde ist jedoch wenig daran zu rütteln, dass es eine jüdische Minderheit in einem palästinensischen Staat geben wird und sollte, weil auf diesem Gebiet von je Juden lebten – die erst durch Pogrome in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vertrieben oder ermordet wurden. Israel wird keinen „judenreinen“ Staat Palästina akzeptieren können – das wäre kein Frieden. Im Moment versucht man es mit einer Zwischenlösung, die für alle Seiten unbefriedigend ist: Die jüdischen Städte und Dörfer werden durch aufwändige Grenzsicherungsmaßnahmen an Israel angeschlossen und von den PalästinenserInnen getrennt. Dieser Aufwand wäre sofort hinfällig, wenn die Sicherheitslage für die jüdische Minderheit im Westjordanland sich dramatisch bessern würde. Dann würden zwar möglicherweise noch mehr SiedlerInnen ins Westjordanland ziehen, es wäre aber auch der Anfang für einen friedlichen, demokratischen palästinensischen Staat gemacht, der dann auch für einwanderungswillige Israelis ein international übliches Visum verlangen und erstellen könnte.
Die dritte große Forderung der arabischen „Friedensangebote“ ist die Rückkehr der palästinensischen „Flüchtlinge“ nach Israel. 4,4 Millionen werden heute zu den Nachkommen der 1948 aus Israel geflohenen Araber gezählt. Das weiß Perthes und er verschweigt in seinem demografischen Schreckgespenst die Bedeutung dieses von arabischer Seite aufgestellten Hindernisses für ein Friedensangebot, um das Zeit-Publikum nicht mit verwirrenden Verhältnissen zu belästigen. Das arabische Friedensangebot ist nichts weiter als eine Abwandlung der übliche Forderung, Israel zu vernichten. Das wird durch Worte wie „Existenzrecht anerkennen“ modernisiert: den arabischen Staaten fiele es in der Tat leicht, ein Israel anzuerkennen, in dem die Mehrheit der Gesellschaft PalästinenserInnen islamischen Glaubens sind und im günstigsten Fall Juden in einem islamischen Staat der Dhimmi-Status zugesprochen wird. Von Friedenswillen zeugen solche Forderungen nicht. Es bleibt die Frage: Was hat Obama damit zu tun, dass die arabische Seite keine echten Friedensangebote macht? Richtiger ist es, die Friedensverhandlungen im Verhältnis zu einem ganz anderen Land als den USA zu betrachten: Iran.
Perthes ignoriert die iranische Frage vollkommen. Für Israel ist eine iranische Atombombe weitaus bedeutsamer als demografische Werte, die wenig aussagen über die Spannungen zwischen jüdischen religiösen und säkularen Strömungen in Israel. Und sie ist bedeutsamer als das Westjordanland, das im Falle eines atomaren Angriffes ebenfalls verwüstet würde. Israel kann keinen palästinensischen Staat zulassen, der einen Großteil der Landesgrenzen endgültig für iranische konventionelle Raketen, schmutzige Bomben oder gar Nuklearwaffen öffnet. Eine vierte iranische Front – nach Hamas, Hisbollah und dem Atomprogramm – kann sich Israel nicht leisten. Ohne einen demokratischen Iran wird es keinen friedlichen palästinensischen Staat neben Israel geben können. Sich dieser vernünftigen Forderung Netanjahus nach Garantien für einen entmilitarisierten Staat Palästina zu stellen ist eine Grundvoraussetzung für Glaubwürdigkeit im Eintreten für PalästinenserInnen, die unter den Sicherheitsmaßnahmen und bisweilen auch unter Diskriminierung leiden. Diese Glaubwürdigkeit geht ohnehin unter, sobald die Konflikte in Westjordanland, Gaza und Israel zum Kampf um den Weltfrieden, gegen das Empire oder zum Endkampf zwischen Moslems, Juden und Christen hochstilisiert wird. Israel und die arabischen Staaten haben in der Vergangenheit inoffizielle Wege gefunden, sich zu einigen und seit Jahrzehnten auch weitgehend zu tolerieren. Nicht alles, was gesagt wird, wird auch getan und umgekehrt.
Wenn es unter Obamas Amtszeit echte und bewältigbare Herausforderungen gibt, dann ist dies die Zerschlagung eines der übelsten Rackets der Welt, die nicht einmal 1000 Mann starke LRA, die zwischen Uganda, DRC und Sudan Siedlungen überfällt, brandschatzt, plündert, zwangsrekrutiert, vergewaltigt und mordet. Oder auch einfach nur die Unterbindung von amerikanischen Waffenlieferungen an die libanesische Armee und damit an die Hisbollah. Das böte zumindest eine wirkliche Chance auf etwas mehr Ruhe für Israel und auch die benachbarten Staaten.