Der Nahostkonflikt aus queer-diasporischer Perspektive – eine Annäherung.

Aus der Sommerpause zurückgekehrt, möchten wir unsere Gedanken zu der Verquickung von Nahostkonflikt und queeren Szenen im Frühjahr diesen Jahres mit euch teilen und freuen uns auf einen Austausch.

Artikel als PDF (Darin sind auch die Fußnoten zu finden)

Katrin Köppert und Francesca Schmidt:

Der Nahostkonflikt aus queer-diasporischer Perspektive

Spot eins: Zur größten Gay Pride Europas in Madrid wurde die eingeladene israelische Delegation kurzfristig wieder ausgeladen und alle in diesem Zusammenhang geplanten Veranstaltungen abgesagt. Als Begründung wurden die israelischen Angriffe auf die „Friedens Flotilla“ Ende Mai diesen Jahres angeführt sowie der Umstand, dass die Stadtverwaltung Tel Avivs, die. u.a. den Wagen für den Umzug finanzieren wollte, dieses Massaker mit neun Toten nicht verurteilte – denn, so der Präsident der Spanischen Föderation für Lesben, Schwule, Trans- und Bisexuelle (FELGTB) Antonio Póveda, auf der Gay Pride würden Menschenrechte verteidigt und nicht missbilligt . Cogam, ein Mitveranstalter der spanischen Parade, wies zudem auf das erhöhte Sicherheitsrisiko für den israelischen Wagen hin, weil zuvor an der Universität von Madrid ein israelischer Unternehmer durch propalästinensische Studenten mit Gewalt davon abgehalten wurde, einen Vortrag über erneuerbare Energien zu halten, ohne dass die Polizei eingegriffen hätte. Die Gay Pride sölle hingegen, so Raúl García, nicht durch „gewalttätige Tumulte“ in die Schlagzeilen geraten. Der israelische Verband Aguda bedauerte die Entscheidung der Organisator_innen und verwies auf die fehlende thematische Verknüpfung. Dessen Meinung nach hätten diese Themen nichts mit der Schwulen- und Lesbengemeinschaft zu tun. Vielmehr sei der Verband als nichtpolitische Gruppe zur Madrider Gay Pride eingeladen worden und wollte diese als Kick-Off für eine Kampagne nutzen, Tel Aviv als pinken Stern am schwulen/(lesbischen) Tourismus-Firmament zu etablieren . Yossi Levy, Sprecher des israelischen Außenministeriums und offen schwul lebend, kritisierte schärfer: „Die Organisatoren haben die Präsenz israelischer Homosexueller aus Gründen der Sicherheit abgelehnt. Das ist eine traurige und besorgniserregende Entscheidung. Die Parade des Stolzes verwandelt sich in die Parade der Schande.“ Eine nachvollziehbare Kritik insofern, als dass Sicherheitsbedenken vorgeschoben werden, um den israelischen Verband, der pauschal für die Angriffe auf die Friedensflotte mitverantwortlich gemacht wird, zu verbannen, ohne deren Einstellungen und Politiken zu befragen. Diese Praxis lässt vermuten, dass die Proklamation von Menschenrechten nutzbar gemacht werden kann, um Gruppen pauschal auszuschließen, was eines impliziten Antisemitismus nicht entbehrt. So kritisierte der spanische Schwulen-, Lesben-, Bi- und Transsexuellenverband Colegas in seiner Stellungnahme: „Es ist völlig inakzeptabel, dass eine Organisation, die vorgibt gegen Diskriminierung und für Freiheit und Menschenrechte zu kämpfen, sich von einer intoleranten, antisemitischen Strömung vereinnahmen lässt.“ Unabhängig davon, dass Antisemitismus, Antijudaismus und Anti-Israelismus differenziert zu betrachten sind, kann eine solche Entscheidung der Organisator_innen nicht verhindern, dass nationalistische, rassistische und antisemitische Formierungen innerhalb einer sich mitunter homonormativ herstellenden LGBITT-Community befördert werden.

Spot zwei: Die Pride in Toronto sollte ohne die Gruppe „Queers against Israeli Arpartheid“ (QuAIA), die schon seit 2007 an der Parade teilnimmt, stattfinden, solange sie die Worte „Israeli Arpartheid“ verwende. Nach Aussagen der Veranstalter_innen würde der Name von weiteren Teilnehmer_innen als diskriminierend, antisemitisch und anti-israelisch empfunden . Der Kampf gegen Homophobie sei das Anliegen der Parade und nicht der Kampf gegen die israelische Apartheidspolitik, so Stadtrat Kyle Rae. Außerdem dürfe der Begriff der Apartheid nicht mit Juden_Jüdinnen oder Israelis in Verbindung gebracht werden. Martin Gladstone, Anwalt, Filmemacher und Schwulenrechtsaktivist, konnte sich daher bei den Sponsor_innen der Parade, zu denen die Stadt Toronto selbst zählt, erfolgreich dafür verwenden, dass die Gruppe unter diesem Namen nicht an der Parade teilnehmen solle.
Die Argumentation der Gruppe QuAIA, dass es sich um ein israelisches „apartheid system“ handele, führte schlussendlich zu einer Welle der Solidarisierung, so dass nach darauf folgenden Zensurvorwürfen die Veranstalter_innen die Verbannungsandrohung zurücknahmen – jedoch unter der Verpflichtung, dass alle Gruppen die Anti-Diskriminierungserklärung der Stadt Toronto, die sie zuvor durch die Worte „Israeli Apartheid“ verletzt sahen, unterzeichnen und anerkennen. Im Duktus der Bekenntnis legitimierte sich nunmehr, was schon von vornherein in den Forderungen der Gruppe inbegriffen war: eine Bewegung gegen Diskriminierung, Okkupation und Kolonisierung von Menschen durch eine israelische Politik. In der Betonung dessen, dass sich gegen eine Form der Politikführung ausgesprochen wird, ließe sich behaupten, dass hier nicht gegen eine jüdische Ethnie und/oder Religion argumentiert würde, sondern gegen eine verletzende israelische Politik. Aufgrund der impliziten Verquickung von jüdischer Ethnie und Demokratie in der Definition Israels als Staat des jüdischen Volkes sind jedoch die Ebenen derart miteinander verzahnt, dass der Kampf gegen die israelische Apartheid auch als ein Kampf gegen Juden_Jüdinnen verstanden werden kann, was bedingt, dass die Behauptung israelischer Apartheid auch eine Form verletzender Hate Speech für Personen darstellen kann, die sich gegen israelische Politik wenden, aber sich dennoch als jüdisch definieren.

Spot drei: Der transgeniale CSD am 26.06.2010 in Berlin startete mit dem Rückenwind der Worte Judith Butlers anlässlich ihrer verweigerten Preisannahme des Zivilcourage Preises eine Woche zuvor beim „großen“ Berliner CSD und handelte sich gleichsam Zensurvorwürfe ein. Während der Demo wurden Mitglieder der Gruppe „Berlin Queers for International Solidarity with Palestine“, die mit Plakaten „Free Gaza“ und „Freiheit für Palästina“ an der Demo teilnehmen wollten, aufgefordert, entweder die Demo zu verlassen oder die Plakate zu entfernen. Begründet wurde dies mit dem Aufruf zur Demo: „Bitte lasst eure Partei- und Nationalfahnen zu Hause! Diese sind auf dem Transgenialen CSD nicht erwünscht. Wir wollen keine Fahnen sehen, weder von Parteien noch irgendwelchen Nationen! Kein Gott, kein Staat, kein Championat!“ Zudem hätten sich andere Demoteilnehmer_innen über die Plakate beschwert. Im Anschluss an den tCSD nahm die Gruppe in einem offenen Brief Stellung und übte u.a. Kritik an dem Vorwurf, Bezug auf die Nation Palästina auf ihren Flaggen genommen zu haben, obwohl es sich bei Palästina weder um eine anerkannte Nation noch um Flaggen in dem Sinne handele, da sie diese selbst gebastelt und mit keinen tradierten Symbolen ausgestattet hätten.

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