„The illest selection with beats of the planet today.“ Im Hintergrund ein Jingle mit Benga und Warrior Queen. Ich kann diesen 2562 Track nicht mehr hören, der als Hintergrundberauschung läuft. Dabei ist das „Aerial“-Album eigentlich ganz gut, aber die Verjingelung packt eine neue, eindeutige Bedeutung auf den Track.
Warum auch immer die TAZ gerade die BBC Radio 1 Radiomoderatorin Mary Anne Hobbs entdeckt hat und ein Interview mit ihr führt. Auf welch traurigem Niveau hierzulande Musik verhandelt wird, zeigt sich an Fragen wie „Dubstep gehört in den Club, man muss dazu tanzen. Wieso funktioniert es dennoch übers Radio, in Ihrer Sendung?“ Der Sound von BBC Radio 1 ist zwar in Deutschland „irgendwas mysteriöses“, in UK aber chartstauglich.
Die ständige Übersteigerung bei Mary Anne Hobbs stört. Sie stellt Konsens her mit den Zuhörern: „you´ll be delighted to learn“. So experimentell ist das alles nicht und eigentlich ist das ganz schön weit weg von John Peel, als dessen Nachfolgerin sie gehandelt wird. Wurde vor 3 Jahren noch Dubstep gefeatured, liegt derzeit der Schwerpunkt auf US-Electronica a la Flying Lotus. „Experimentell“ geht irgendwie anders, zumal wie im Formatradio der Inhalt vorhersagbar ist. Das erinnert an Motor FM, wo die Sendung „Auslandspionage“ groß beworben wurde mit den Verheissungen auf nie dagewesene Klänge und auch dort inzwischen nur derselbe weichgespülte Indie-Electro-Mix läuft wie in der restlichen Sendezeit auch. Wo bleibt das Ungehörte?
Darum geht es ja auch nicht. Radio stellt Masse her, kanalisiert Pluralitäten zu homogenen Hörerschaften, es prägt Hörgewohnheiten, es lehrt Musikgeschmack. Die Sendung „Der Ball ist rund“ von Klaus Walter im hessischen Rundfunk HR3 wurde abgesetzt und wenn ich mich richtig erinnere bestand die Begründung darin, dass die Zuhörerquote nicht mehr messbar sei, da sie im unteren Promille-Bereich mit wenigen Hundert Personen läge. Radio will Reichweite, will empirische Messbarkeit: eine relevante Anzahl Zuhörer, eine relevante Anzahl Plattenverkäufe. Nur ist „experimentell“ in den wenigsten Fällen massenkompatibel.
Mary Anne Hobbs setzt auf gute Laune. Weniger was sie sagt als wie sie es sagt. Da bleibt von einer Beschreibung nicht viel mehr übrig als „my favorite photographer in the U.K.“. Ein Überschuss an Meinung wird ausgebreitet. Als ob die Leute es nicht mögen würden, wenn nicht permanent betont würde wie geil das denn doch alles sei. (Symptomatisch für die Krise der Musikindustrie – man versucht die bösen Geister durch das Verströmen guter Laune zu vertreiben). Aber warum REDET man darüber? Sprache wird hier zum Anhang der Marketingmaschinerie; zu einem Lückenfüller zwischen den Tracks. Es wird geredet weil das halt so ist und dazu gehört. Gerade bei Dubstep gab es starke und kontroverse Diskussionen über Ästhetik, was in der Feeling-Well-Soße von Mary Anne nicht vorkommt bzw. ertränkt wird. Der Tonfall bleibt immer gleich. Die halb wispernde Stimme der Moderatorin, ständig anpreisend und lobend. Maximal Zitate aus Waschtexten, die Brüche zwischen ihr als Radiomoderatorin und der Musikindustrie (auch wenn sie hier in Gestalt von Kleinstlabels auftritt) tauchen nicht weiter auf, werden von ihr nicht artikuliert.
Ist das jetzt Musikjournalismus? Eher ist das Marketing und Selbstmarketing. Der DJ promoted den jeweils zugehörigen Stil und die eigenen Releases. Mary Anne Hobbs releast Compilations auf Planet Mu. An anderer Stelle tritt diese Interessenlage noch offener zutage, wenn DJ Hype mit Ganja Records die Releases seines Labels in seiner Radioshow auf KissFM abfeiert. Musikjournalismus scheint immer diese Durchdringung von Promotion durch „Liebe für die Sache“, das eigene Fan-Dasein, geprägt zu sein. Zirkulationsagenten, das Spiel am Laufen halten, Parole Kaufen.
Die Show von Mary Anne Hobby läuft auf BBC Radio 1 Mittwoch nachts bzw. Donnerstag morgens um 3 Uhr. Inzwischen lassen sich die Radiosendungen auch ohne IP-Blocks außerhalb von Großbritannien anhören, die jeweils letzte Show lässt sich im Archiv auf der Site von Mary Anne Hobbs anhören.